HealthManagement, Volume 5 / Issue 1 2003 (German)

von Dr. Bjørn Guldvog, Generaldirektor, Berit Eivi Nilsen, MSc, stellvertretende Generaldirektorin, Christine Furuholmen, MSc, Senior Berater, Abteilung für Gesundheitswesen und soziale Dienste Norwegisches Direktorat für Gesundheit und soziale Angelegenheiten

 

Aufgrund der großen Distanzen und einer weit verstreuten Bevölkerung bedarf Norwegen einer flexiblen Gesundheitsorganisation, die lokalen Bedingungen Rechnung trägt. Zwischen Juni 2001 und Januar 2002 wurden Reformen durchgeführt, um die Effizienz und Qualität der Patientenversorgung zu verbessern. Zusätzlich zu den Reformen werden die Koordinierung der Krankenversorgung und die Kollaboration zwischen Berufsgruppen als entscheidende Elemente für eine kontinuierliche, auf dem individuellen Bedarf basierende Patientenversorgung angesehen. Die Rolle der Hausärzte (RGP), die Rolle der Krankenhäuser sowie finanzielle Anreize tragen allesamt zum Erfolgsergebnis bei und werden erörtert.

 

Norwegens 4,5 Millionen Einwohner bewohnen nahezu 400.000 qkm, d.h., auf einen Quadratkilometer kommen 14 Einwohner. Die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt in der Luftlinie 1752 km. Weite Teile des Landes können aufgrund von Gebirgen und Gletschern nicht kultiviert werden. Die meisten Menschen leben entlang der Küstenlinie.

 

Die Verwaltung des Gesundheitswesens ist in drei Ebenen gegliedert. Die Zentralregierung ist für die Formulierung der allgemeinen politischen Ziele und Gesetze sowie für die finanziellen Zuweisungen verantwortlich. 434 Städte mit Einwohnerzahlen zwischen 240 und 513.000 sind für die primäre Krankenversorgung verantwortlich, einschließlich der Langzeitpflege für ältere und  behinderteMenschen. Bislang waren 19 Bezirke für spezielle Gesundheitseinrichtungen zuständig. 2002 übernahm die Zentralregierung die Verantwortung und die Trägerschaft für alle öffentlichen Krankenhäuser.

 

Obwohl Norwegen ein reiches Land ist, berichtet der Gesundheitssektor häufig über einen Mangel an Ressourcen. Die Mitarbeiter im Gesundheitswesen haben ihre zunehmenden Bedenken geäußert, dass eine Fokussierung auf Kostenkontrolle und technische Wirksamkeit eine rationale medizinische Prioritätensetzung erschwert. Bis etwa 1990 gab Norwegen für die Krankenversorgung weniger aus (% des BIP) als die westeuropäischen Länder. Während der letzten zehn Jahre glichen sich die Kosten denen vieler westeuropäischer Länder an (Tabelle 1).

 

Aufgrund der großen Entfernungen sind Transportkosten und die Ausgaben für eine dezentralisierte Versorgung beträchtlich.

 

Reformen im Norwegischen Gesundheitswesen

In den letzten 20 Jahren sollten Reformen des Gesundheitswesens zu einer verbesserten Verantwortlichkeit des Staates, der Bezirke und der Städte führen. Die Einführung von Gesundheitsdiensten auf derselben administrativen Ebene wurde als Voraussetzung für eine optimal Koordinierung dieser Dienste angesehen. In den 80er und 90er Jahren bestand der Trend, die Krankenversorgung auf die Städte zu konzentrieren. Während dieses Zeitraums wurden primäre Krankenversorgung, Pflegeheime, Einrichtungen für Behinderte und psychiatrische Patienten innerhalb der Städte organisiert, wie es bis heute der Fall ist.

 

In den letzten Jahren nahm das Interesse an der Rolle des Staates zu. Seit 2001 wurden drei wichtige Reformen durchgeführt. Im Juni 2001 wurde die erste dieser Reformen implementiert. Unser allgemeinmedizinischer Dienst wurde als regulars Hausarzt-(RGP)-Schema bzw. Eine Art Listensystem organisiert. Die Hausärzte stimmten einer maximalen Listengröße innerhalb der lokalen Behörden zu. Ziele der Reform waren, mehr Sicherheit durch einen besseren Zugang zu allgemeinmedizinischen Diensten zuschaffen, eine größere Kontinuität in der Arzt-Patientenbeziehung herzustellen sowie einen rationelleren Einsatz der Gesamtressource an Ärzten zu gewährleisten. Die lokalen Behörden sind für dieses Schema verantwortlich, und die nationale Krankenversicherung (Staat) verwaltet das Vergütungsschema. Patienten können ihre Hausarztwahl zwei Mal pro Jahr ändern, sofern auf der entsprechenden Liste eine ausreichende Kapazität zur Verfügung steht. Das Hauptvergütungsmodell der Allgemeinärzte basiert auf selbständiger Arbeit.

 

Im Januar 2002 wurde als zweite die Krankenhausreform durchgeführt. Der Staat übernahm die Trägerschaft für die Krankenhäuser, die jetzt als fünf regionale Gesundheitsunternehmen organisiert sind und eine Bevölkerung zwischen 460.000 und 1,6 Millionen Einwohnern versorgen. Zuvor gab es zunehmende Bedenken hinsichtlich der Unterschiede in der Zugänglichkeit spezieller Gesundheitseinrichtungen, wie sich bei Ungleichheiten in den Wartezeiten zeigte. Es bestand eine verstärkte Sorge, dass die Bezirksgrenzen als Barriere gegenüber einer rationellen Aufteilung der Krankenhausfunktionen wirken könnten. Die Gegner der Reform argumentierten, dass der Bezirk mit seiner gewählten Vertretung für die locale Bevölkerung verantwortlich sein und am kompetentesten beurteilen könne, welche Dienste benötigt werden.

 

Die Reform wurde, vor allem aufgrund einer starken Alliance zwischen Zentralregierung und Ärzten, in bemer- kenswerter Geschwindigkeit durchgeführt. Innerhalb jedes Gesundheitsunternehmens wurden Krankenhäuser entweder in Gruppen zusammengefasst oder als einzelne Institutionen organisiert. Jedes regionale Gesundheitsunternehmen verfügt über ein eigenes administratives Management und einen Ausschuss. Das Unternehmen ist für die Planung, Entwicklung und Versorgung mit speziellen Gesundheitsdienstleistungen innerhalb des von den Trägern gesetzten Rahmens verantwortlich.

 

Die dritte wichtige Reform betraf die Zentralregierung. Zwölf verschiedene Direktorate, Institute und Ausschüsse, die zuvor unter dem Gesundheitsministerium organisiert waren, wurden im Januar 2002 in drei größeren Institutionen reorganisiert: Dem Direktorat für Gesundheit und soziale Angelegenheiten, dem Gesundheitsausschuss und dem Institut für Gesundheitswesen. (Tabelle 2)

 

Es ist zu früh, um die Wirksamkeit der Reformen zu beurteilen. Unser Haupteindruck ist, dass die drei Reformen erfolgreich waren. Die Evaluierung sowohl der RGP- als auch der Krankenhausreformen wird fortgeführt, und die Hauptergebnisse warden dieses Jahr präsentiert werden.

 

Gründe der Veränderung

Diese drei Reformen wurden entwickelt, um die Wirksamkeit und Qualität des Gesundheitswesens auf jeder der drei Ebenen zu verbessern, und nicht in erster Linie, um die Koordinierung zwischen den Ebenen zu verbessern. Es scheint immer noch ein beträchtlicher Effektivitätsverlust in der Krankenversorgung durch eine suboptimal Koordination zwischen dem primären Gesundheitssystem und den Krankenhäusern zu bestehen.

 

Krankenversorgung ist eine komplexe Serviceleistung, charakterisiert durch eine Unterteilung in Arbeit, Spezialisierung und Professionalismus. Unter diesen Bedingungen besteht ein großes Risiko, dass Informationsverluste zwischen den Berufen und Disziplinen in Erscheinung treten. Dem Bedarf an Koordinierung, Vereinfachung und Beurteilung des Gesamtsystems kommt entscheidende Bedeutung zu. Koordinierung setzt zur Realisierung des gemeinsamen Ziels Zusammenarbeit voraus.

 

Vom organisatorischen Standpunkt aus ist das Hauptargument für eine Koordinierung der verbesserte Kostennutzen. Koordinierung führt zu einem Gewinn an Arbeitskraft und Ressourcen, als auch zur Klärung von Zuständigkeiten. Koordinierung und Kollaboration fördern eine Krankenversorgung, die auf den Bedarf der Patienten abgestimmt ist und auf umfassenden Informationen hinsichtlich der individuellen Situation und Diagnose basiert.

 

Es existieren mehrere Barrieren, die eine Zusammenarbeit zur Herausforderung machen. In einer geteilten Versorgungskette gibt es häufig innerhalb jeder Ebene die Tendenz, sich auf die dringlichsten lokalen Angelegenheiten zu konzentrieren, ohne die Auswirkungen auf das gesamte System zu beachten. Dienstleister der verschiedenen Ebenen können sehr unterschiedliche Perspektiven und Werte haben. Es können bedeutende kulturelle Unterschiede und Kompetenz-

Inbalancen bestehen, die zu Unterbrechungen in der Versorgungskette führen können. Finanzielle Aspekte können entmutigend wirken. Ebenso können Gruppeninteressen die Zusammenarbeit beeinflussen.

 

Dies sind einige der auf suboptimaler Koordinierung basierenden Bedenken:

• Unzureichende Berücksichtigung von Patienten mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen

• Unzumutbare Wartezeiten auf eine Krankenhausbehandlung

• Unterbringung der Patienten in Krankenhaushallen, bevor sie in die städtischen Krankenversorgung entlassen werden

• Unzureichende Klärung der Funktionsund Arbeitsteilung zwischen den Versorgungsebenen

• Überdiagnostik

• Mangel an Verantwortlichkeit: Patienten werden keiner Versorgungsebene zugeordnet

- die Patienten erleiden Angst, dass sich niemand für sie verantwortlich fühlt. Es ist schwer, den Produktivitätsverlust aufgrund suboptimaler Koordinierung zu quantifizieren. Wir meinen, dass weiterhin eine große Notwendigkeit besteht, die Anstrengungen hinsichtlich einer besseren Zusammenarbeit zwischen dem primären Gesundheitssektor und den Krankenhäusern zu intensivieren.

 

Werkzeuge Für Verbesserte Koordinierung

Kollaborationsvereinbarungen: Zwischen Städten und regionalen Unternehmen sollten Kollaborationsvereinbarungen entwickelt werden. Es ist Aufgabe der Parteien, eine Vereinbarung zu treffen, die ihrer spezifischen Situation angemessen ist. Im Allgemeinen besteht der Bedarf, Werte und fundamentale Grundannahmen/Vereinbarungen für eine Zusammenarbeit zu klären, einschließlich:

• Koordinierung der Patientenversorgung und -behandlung

• Entwicklung von Kompetenz und Professionalismus

• Ausarbeitung von Plänen und Schemen

• Administrative Koordinierung

• Kollaboration mit Patienten und Organisationen.

 

Kooperative Vereinbarungen auf der Patientenebene: Für den Umgang mitPatienten, die komplexer Gesundheitsdienstleistungenbedürfen, können individuelleKollaborationsvereinbarungenvorbereitet werden. Das Ziel der Zusammenarbeit,Beteiligung, Verantwortlichkeitund Nachsorge sollte festgeschriebenwerden.

 

Verantwortung teilende Gruppen: Das sind Meetings, bei denen die Entwicklung von Dienstleistungen und spezifischen Maßnahmen geplant und koordiniert werden, bei denen Mitarbeiter der Krankenhäuser und des primären Gesundheitssektors mit den Patienten zusammentreffen.

 

Individuelle Pläne: Individuen mit einem Bedarf an dauerhafter, komplexer und koordinierter Versorgung haben ein Recht auf die Erstellung eines individuellen Plans. Dieses Recht wird durch das Gesetz für Patientenrechte reguliert.

 

Gemeinschaftlicher Wissenszugewinn: Es ist von entscheidender Bedeutung, gemeinsam in der Versorgungskette zu arbeiten und Wissen zu verbreiten. Mitarbeiter der Berufsgruppen auf verschiedenen administrativen Ebenen sollten den gemeinsamen Zielen einer evidenz- basierten Medizin und Patientenversorgung folgen. Wir schlagen vor, dass die Krankenhäuser und Gesundheitsunternehmen die Hauptverantwortung für das Erreichen dieser Ziele übernehmen. Krankenhäuser sind auf Wissen basierende Institutionen, oft mit starken professionellen Interessen. Insbesondere in der Zusammenarbeit mit dem primären Gesundheitssektor müssen Krankenhäuser bemüht sein, deren Standpunkt zu verstehen.

 

Cottage Hospitals, kommunale medizinische Zentren und kommunale psychiatrische Zentren bieten ein Beispiel für Zusammenarbeit. In entfernten Landesteilen haben Cottage Hospitals Tradition, da die Distanz bis zum nächsten Krankenhaus groß ist.

 

Häufig leitet eine Krankenschwester das Krankenhaus, und der Distriktarzt übernimmt die medizinische Verantwortung. Einige Cottage Hospitals verfügen über einen kleinen Kreißsaal und eine Hebamme. Die Gesamtzahl an stationären Patientenbetten in den Cottage Hospitals ist von 1.600 Betten im Jahr 1970 auf etwa 100 Betten heutzutage abgesunken. 18 Cottage Hospitals verblieben, und mit Ausnahme eines sind alle im Norden gelegen. Die moisten Cottage Hospitals in Norwegen umfassen sowohl den primären als auch den sekundären Gesundheitssektor. Die Cottage Hospitals, die spezielle Einrichtungen anbieten, werden als Abteilung eines Krankenhauses angesehen. Das Cottage Hospital von Hallingdal ist ein Beispiel für Letzteres. Dieses Cottage Hospital versorgt eine Bevölkerung von 21 000 Einwohnern und verfügt über 21 Betten. Darüber hinaus hat es einen Kreißsaal und 12 Betten für psychiatrische Patienten. Eine umfassende Ambulanz mit elf Fachbereichen wird von Fachärzten aus größeren Krankenhäusern der Region versorgt. Das Cottage Hospital ist als eine Abteilung des größeren Krankenhauses Ringerike organisiert.

 

In den letzten Jahren wurden Versuche unternommen, das Konzept der Cottage Hospitals zu modernisieren. Die rasante Entwicklung der Technologien und Telemedizin ermöglicht die Durchführung mancher Verfahren auf ambulanter Basis. Es besteht ebenfalls ein Bedarf an ambulanter Chirurgie, Dialyse, Chemotherapie etc.

 

Um die Patientenversorgung auf der richtigen Behandlungsebene sicherzustellen, kommt den RGP eine bedeutende Rolle zu. Ebenso dienen Einschränkungen, welche Leistungen den Krankenhäusern vergütet werden, einer Regulierung. So lange der primäre und der sekundäre Gesundheitssektor von zwei verschiedenen Regierungsebenen organisiert und finanziert werden, stellt dies eine Herausforderung für die Kooperation zwischen den beiden dar. Zwei Faktoren tragen zu den Schwierigkeiten bei:

 

• Aufgrund der kontinuierlichen Entwicklung neuer Technologien kommt es zu einer dynamischen Verschiebung der Dienstleistungen vom sekundären in den primären Sektor.

• Um Kosten zu sparen, setzen die beiden separaten Finanzierungssysteme Anreize, Patienten der jeweils anderen Versorgungsebene zuzuordnen. Die speziellen Gesundheitseinrichtungen sind gefordert, hier Grenzen zu ziehen.

 

Eine Alternative zu einem geteilten Finanzierungssystem wäre ein einziger, sowohl hinsichtlich der Organisation als auch der Finanzierung vollständig integrierter Gesundheitssektor. Seit der primäre Gesundheitssektor in der Verantwortung der Städte mit nahen Kontakten zu anderen Wohlfahrtsdiensten liegt, war dies kein zentrales Thema auf der politischen Tagesordnung mehr. Die Städte sind zu klein, um Krankenhäuser und spezielle Dienste anbieten zu können. Bevor man diese Angelegenheit weiter verfolgt, sollte unserer Meinung nach mehr Erfahrung und eine Evaluierung der verschiedenen Koordinierungsstrategien vorliegen.

 

Eine weitere Alternative, die kürzlich von der königlichen Kommission zur Finanzierung spezieller Gesundheitsdienstleistungen (2002) diskutiert wurde, ist die Einführung einer Trennung von Dienstleistern und Käufern. Die Städte müssten die Rolle des Käufers übernehmen, wenn solch ein Splitting vorgeschlagen werden sollte. Es wird angenommen, dass die meisten Städte jedoch keine ausreichende Größe bzw. Kompetenz aufweisen, um dies zu gewährleisten. Die Kommission empfiehlt lokale Initiativen und Projekte, um verschiedene Kollaborationsmodelle einschließlich integrierter Modelle zu fördern.

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